Kreuzfahrtschiff in Miami
Schreiben

Die perfekte Aufnahme

Wenn die Delfine kommen, wird es ein perfektes Foto, das erwartet Amber, die Protagonistin meines neuesten Werks. Allerdings hat sie da nicht mit ihrer Hundephobie gerechnet…

Lest hier exklusiv und als Teil des großartigen Autoren-Adventskalenders diesen Ausschnitt aus einem Miami-Beach-Roman, an dem ich gerade arbeite. Viel Spaß!

„Perfekt, bleib so, gleich ist es so weit!“ 

Lasziv räkelte sich SandraDee, Miamis derzeit erfolgreichste Influencerin, auf den Uferfelsen am South Pointe Park. Vorsichtig balancierte Amber ihr Stativ auf der unebenen Oberfläche, um sie aus dem günstigsten Winkel zu abzulichten. Sie hatte diesen Job von einem Kollegen übernommen und plante, ihn bestmöglich abzuliefern, damit er ihr Zugang zu weiteren Aufträgen der hippsten Instagrammer Floridas bringen würde. Glücklicherweise gab es in Miami mehr Influencer, die Fotos brauchten, als Sandkörner am South Beach. 

Die Felsen, auf denen sie stand, boten ihr nur bedingt Halt, so dass Ambers Lendenwirbel bald von der gekrümmten Haltung schmerzten. Wenn das Licht der tief stehenden Sonne nicht von dieser Position aus ideal gewesen wäre, hätte sie sich viel lieber wie ihre Assistentin auf dem schmalen Gehweg positioniert. Die hielt dafür unverdrossen die Reflektorfolie neben SandraDees Gesicht, auch wenn die Arme auch ihr längst schmerzen mussten.

Doch den Preis für die unbequemste Pose gewann auf jeden Fall die Influencerin selbst. Dennoch ruhte sie auf den spitzen Steinen wie eine Königin auf einem Federbett und schleckte entspannt lächelnd an der brandneuen Eissorte ihres Werbepartners. Vermutlich war sie in einem früheren Leben ein Fakir gewesen. Auf jeden Fall war sie hart im Nehmen, denn auch der scharfe Märzwind, der dazu führte, dass Amber ihre Jacke enger um sich zog, schien sie in ihrem knappen Bikini nicht im Geringsten zu stören. Momentan war es ungewöhnlich kalt im immerwarmen Miami. So etwas wie einen Pullover brauchte man hier normalerweise höchstens für die künstlich unterkühlten Innenräume.

SandraDee gab selbstredend alles für ihre Follower und war dabei die Perfektion in Person. Amber feuerte eine Fotosalve auf ihr Model, das wechselseitig den Kopf in die eine oder andere Richtung drehte, die Augen genießerisch verschloss, weil das Eis offenbar so wohl schmeckend war, und zwischendrin immer wieder einen Kussmund zog. 

Schwatzend blieb eine Gruppe junger Mädchen stehen und deuteten die Szenerie. SandraDee war ganz Profi und grinste ihnen nonchalant zu.

„Achtung, nur noch ein paar Sekunden!“, warnte Amber sie, denn die majestätische „Wonders of the Seas“, auf die sie gewartet hatten, schob sich allmählich mit ihrem wie ein Wal geschwungenen weißen Bug in das Bild. Die Abfahrt der Kreuzfahrtschiffe war stets ein gern genommenes Fotomotiv und Amber hatte schon diverse Shootings hier gehabt. Zu ihrer Zufriedenheit entdeckte sie eine Gruppe Delfine, die das schwimmende Schiff begleitete und sich gegenseitig zu immer höheren Sprüngen anstachelte. Perfekt, genau darauf hatte sie gehofft. Das Bild würde fantastisch werden.

 „Buddy, aus!“, rief plötzlich eine schrille Stimme hinter ihr, gefolgt von einem aufgeregten Kläffen. 

Amber wandte sich um und wusste wieder, warum sie so ungern in einen Park ging. Ihr Herz pochte so stark, dass es ihren Brustkorb zu sprengen schien, und ihre Hände wurden feucht. Sie hatte panische Angst vor Hunden, seit sie als kleines Mädchen gebissen worden war. Die Narbe auf ihrer rechten Wade erinnerte immer noch an dieses furchterregende Erlebnis. 

Wild bellend schoss eines dieser Monster auf sie zu, die nutzlos gewordene Leine hinter sich herziehend. Amber war wie gefangen in einer Mischung aus Fluchtinstinkt und Erstarrung und konnte bloß regungslos beobachten, wie die mittelgroße, schwarze Bestie zielstrebig ihre Auftraggeberin angriff. 

„Vorsicht!“, schrie sie entsetzt auf. 

SandraDee riss erstaunt die Augen auf, lachte aber bloß, als der Hund auf ihren Bauch sprang und ihr frech das Eis aus der Hand stahl. Doch damit nicht genug, entschied der Köter sich zur Flucht in Ambers Richtung. Panisch wich sie zurück, hatte für einen Moment vergessen, dass sie sich nicht auf ebenem Boden befand, sonder auf Uferfelsen balancierte. Da verlor sie schon das Gleichgewicht und stürzte mitsamt ihrer Ausrüstung ins Wasser. 

Ein paar Minuten später stand Amber triefnass und bibbernd vor den Überresten ihrer sündhaft teuren Kamera und konnte immer noch nicht recht verstehen, was geschehen war. Die Schmerzen an ihrem Po und Rücken zeugten allerdings davon, dass sie auf dem Weg ins Wasser zunächst auf den Steinen aufgeprallt war. 

In der Hoffnung, womöglich etwas an der Kamera oder den Fotos zu retten, entfernte sie hastig den Akku und die Speicherkarte aus dem Gerät. Viel erwartete sie jedoch nicht. Meerwasser war für Elektronik oft ein echter Killer. 

„Entschuldigung. Buddy ist einfach verrückt nach Eis. Es tut mir sehr leid!“ 

Mit zerknirschter Miene stand die Besitzerin des Hundes neben ihr. Immerhin hatte sie die Leine wieder fest in der Hand, während das Tier scheinbar nicht minder zerknirscht die Schnauze auf den Boden gelegt hatte und sein Frauchen treuherzig anblickte. Amber dagegen ließ sich von diesem harmlosen Blick nicht täuschen. Tiere waren einfach unberechenbar.

Kopfschüttelnd starrte sie die Frau an, die ihre mangelnde Größe mit schreiend bunter Kleidung wettmachte, und fragte sich ein ums andere Mal, wieso sich Menschen ein Tier anschafften, dass sie nicht unter Kontrolle hatten. 

„Kann ich Ihnen noch etwas helfen? Brauchen Sie vielleicht ein paar Taschentücher? Ich bin gut versichert“, versuchte die Hundebesitzerin es erneut. 

Amber schüttelte stumm den Kopf. 

Doch die Frau trat auf sie zu und drückte ihr eine Visitenkarte in die Hand. „Mary’s Tierparadies“ stand drauf. 

„Ich habe einen kleinen Laden für Haustierzubehör. Ich bin wirklich gut versichert, weil die süßen Racker“ hier kicherte sie aufgekratzt, „gern einmal den einen oder anderen Unfug anstellen. Haben Sie ein Haustier?“

Ambers Augen weiteten sich ob dieser absurden Vorstellung. Ihre Eltern hatten damals nach dem Biss einen winzigen, knopfäugigen Welpen zum Geburtstag geschenkt, weil sie hofften, dass Amber auf diese Weise ihre Panik vor Hunden wieder loswerden würde. Doch weit gefehlt. Kaum hatte sie das Tier erblickt, hörte sie nicht mehr auf zu schreien, bis sie das Ungeheuer endlich aus der Wohnung gebracht hatten.

„Nein, ganz sicher nicht!“, entgegnete Amber.

„Nun, dann melden sie sich einfach bei mir und ich schalte meine Versicherung ein.“ 

Um die Frau endlich loszuwerden, nickte Amber und steckte die Karte ein, die sie sicher nie brauchen würde. Ihre Ausrüstung war gut versichert, das war nicht das Problem. Eher die Tatsache, dass sie einen wichtigen Auftrag buchstäblich ins Wasser gesetzt hatte. Frühestens in ein paar Tagen konnte sie überprüfen, ob die Speicherkarte noch funktionierte. Bis dahin hätte aber SandraDees Werbebeitrag bereits gelaufen sein sollen. 

„Wenn eines der Bilder etwas geworden ist, melde ich mich“, sagte sie ohne große Erwartungen zu SandraDee. „Ich borge mir bis morgen eine andere Kamera. Wann sollen wir das Shooting wiederholen?“

Die Influencerin schnaubte herablassend. „Gar nicht. Ich finde einen Fotografen, der nicht wegen eines Schoßhündchens ins Wasser fällt. Meine Zeit ist kostbar.“

Missmutig räumte Amber zusammen mit ihrer Assistentin, die vor Schreck komplett verstummt war, die Überreste ihrer Ausrüstung in die Taschen. Sie brauchte weder auf einen weiteren Auftrag, noch auf eine Empfehlung von ihrer Kundin zu hoffen. 

SandraDee dagegen beugte sich zu Ambers Ärger zu der Straßenkötermischung herunter, der mittlerweile wieder ordnungsgemäß an der Leine war, und kraulte ihm den Nacken. 

„Du bist ja ein ganz feiner.“ Eifriges Schwanzwedeln war die Antwort. „Hat dir mein Eis geschmeckt? Ja?“ Für einen Moment schien sie den verdorbenen Tag völlig vergessen zu haben. „So einen wie dich, hatte ich früher auch, wie alt ist er denn?“, erkundigte sie sich bei der Besitzerin. 

Amber vernahm schon nicht mehr die Antwort, als sie gefolgt von ihrer Assistentin hinüber zu ihrem Fahrrad stakste und eine Spur aus Pfützen hinter sich herzog. Sie überlegte, wie sie ihrem Kollegen ihren misslungenen Gig erklären sollte. Der wäre sicher nicht glücklich über eine erboste Kundin. 

Sie musste ihre Hundepanik in den Griff kriegen, wenn sie weiterhin draußen fotografieren wollte. Hunde aller Rassen und Größen waren am Ocean Drive nahezu allgegenwärtig. Bereits ihre Eltern hatten nichts unversucht gelassen, Amber die Angst wieder auszutreiben, aber nichts hatte gefruchtet. Sogar eine Angsttherapie war erfolglos geblieben. Vielleicht sollte sie doch wieder Hochzeiten fotografieren. Allerdings hatte sich das Gefühl, masochistisch veranlagt sein zu müssen, wenn sie weiterhin in die hoffnungsvollen Gesichter der frisch Vermählten blicken musste. Nach allem, was im vergangenen Jahr mit Gary passiert war, stand ihr nach Romantik überhaupt nicht der Sinn. 

„Wir machen Schluss für heute, danke dir“, verabschiedete sie sich von ihrer Assistentin, die ihr nur noch bedauernd zunickte und erleichtert verschwand. 

Überrascht merkte Amber, dass das Handy in ihrer Hosentasche vibrierte, als wäre es nicht eben gerade auf Tauchkurs gegangen. Sie zog das glitschige Teil aus der Tasche, das sie in der Angst um ihre Fotos ganz vergessen hatte, und sah die Nummer von ihrem Hotel. Allerdings war es nicht der erste Anruf. Vermutlich hatte sie die Versuche davor im Schreck gar nicht bemerkt. Sieben Mal hatten sie es bereits bei ihr probiert. Amber wurde flau im Magen. War etwas passiert? 

Normalerweise ließen die Mitarbeiter des Hotels, dass sie von ihrer Mutter geerbt hatte, sie mit den alltäglichen Belangen in Ruhe. Nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter hatte die vorher so heimische Atmosphäre sie so stark bedrückt, dass sie auf Distanz gegangen war. Glücklicherweise war das „Elisabeth’s“, ein für die Verhältnisse in Miami Beach kleines Boutiquehotel, ein gut laufender Betrieb, für den sie lediglich eine Geschäftsführerin hatte finden müssen. Das Geld, das es abwarf, ermöglichte es ihr, sich verhältnismäßig sorgenfrei ihrem Wunschberuf, der Fotografie, zu widmen. 

„Amber, kannst du vorbeikommen?“, vernahm sie die Stimme von Gloria, der Front Desk Managerin, die Amber bereits seit ihrer Geburt kannte. „Es ist etwas passiert. Das solltest du dir ansehen.“ 

Eine üble Vorahnung schlich über ihren Rücken. Glorias Stimme klang fast so panisch wie an dem Tag, als sie sie angerufen hatte, um ihr mitzuteilen, dass Ambers Mutter bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war.